Auf der Suche zuhause

Das studentische Leben ist ein eigener Kosmos. Nicht nur sind es entsprechende Sitten, Bräuche und Feierwürdigkeiten;  auch das WG-Leben nimmt Anteil. Schon wieder Oktober, Wintersemester – der Run auf eine WG geht los. Da meine Eltern bei mir wohnen (ich mit ihnen) begebe auch ich mich in diesen Strudel. Ich sehe WG-Anzeigen von Genderkritikern, Nudisten, Freaks, Normalos, Mauerblumen und entscheide mich für etwas Durchschnittliches - wie ich denke. Montagabend finde ich mich bei Kerzenschein an einem langen Tisch wieder, gemeinsam mit weiteren 20 potentiell Auserwählten. Wir alle sind zugerannt auf diese WG. Hier muss ich erfahren: Jeder ist entspannt, gesund, hat schon die obligatorische Australienrundreise gemacht, ernährt sich vorzugsweise vegan, hat mit einem Putzplan natürlich kein Problem, kocht am liebsten mit der WG-und „wollte ja schon immer mal..“ Ich bin beeindruckt. Kurzzeitig überlege ich meinen Beitrag zu leisten, indem ich die Blattmusterung meiner Zimmerpflanze erwähne. Das verwerfe ich schnell,  stattdessen kippe ich schweigend den WG-internen Weißwein in mich hinein.

Beduselt lasse ich das Treiben über mich ergehen - das Schlusswort zum Rauswurf „Vielen Dank, wir melden uns bei euch!“ verschafft mir die Möglichkeit zur Flucht. Auf dem Weg nach Hause sehe ich in der U-Bahn einen Ninja-Kämpfer mit Fleischerbart und Hühner, die eigentlich Briten sind und sich einen Tarnanzug übergeworfen haben - endlich normale Leute.

Ich entscheide, meine  so gesunde Ernährung, von der ich gerade selbst noch so engagiert sprach, kurzerhand zu verwerfen und springe bei der nächsten U-Bahn Station aus dem Zug. Im Asia-Imbiss bestelle ich fettige Nudeln mit Soja-Schaumbad und bekomme einen Glückskeks, eingepackt in  Plastik-Goldpapier, geschenkt. Auf einer Parkbank beobachte ich Nudeln schlürfend eine possierliche Ratte, die es sich unter einem Bretterverschlag gemütlich macht.

„Du Ratte!“, denke ich, „hast wenigstens ein zuhause“.

Dann schließlich entwickele ich den Glückskeks – er sagt „ Nutzen Sie Ihr mächtiger Potential im Jahr des Hahnes“.